PONTONIERE

Motorkalender der DDR 1976

In breiter Front preschen die SPW der ersten Staffel in den Fluß. Dumpf dröhnen die Motoren, die sMG hämmern, MPi bellen. Der mot. Schützentruppenteil will einen Brückenkopf erzwingen. Es gelingt ihm. Die Verteidiger geben ihre Feuernester auf, ziehen sich zurück. Die mot. Schützen weiten den Brückenkopf aus...

Aber wie lange werden sich die Schützen halten? Nicht eine Kanone haben sie mit. Auch die sonst mit ihnen angreifenden Panzer sind zurückgeblieben. Wann wird der Gegner seine Verwirrung überwunden haben?

Für beide Seiten eine Frage der Zeit.

Kaum hat die Strömung am Ufer die Spurrinnen der SPW ausgespült, schon fahren die Ural und KrAZ bis zu den Achsen ins Wasser. Bugsierboote und Pontons gleiten in den Fluß; die Pontons klappen auf, werden ans Ufer gezogen und zusammengekuppelt.

Die Pioniere der Kompanie Augsten bauen eine Pontonbrücke über den Fluß. Sie stehen dabei selbst bis zum Bauch im kalten Wasser. Noch während die Brückenteile eingefahren werden, nähert sich die zweite Staffel der

Übersetzstelle - die Panzer des Truppenteils und die unterstützende Artillerie.

Oberleutnant Augsten gibt die Brücke frei.

Ohne zu stoppen, können Panzer und Artillerie zum anderen Ufer rollen, in den Brückenkopf...

 

Die Kolonne der Pontonfahrzeuge rückt an. Die Watfähigkeit des KrAZ 214 beträgt

1000 mm. Im Vordergrund ein Ural mit angehängtem Bugsierboot

 

Fehl geht, wer meint, was hier in Minuten geschah, wäre alles, und ranklotzen sei das einzige, was Pioniere können müssen.

Vollmotorisiert ist solch eine Pontonkompanie. Beim Transport und beim Bau ihrer Brücke genügt es bei weitem nicht, nur

 die Ärmel hochzukrempeln und „hau - ruck!" zu rufen.

Die Fahrzeugkolonne der Kompanie ist 2 bis 3 Kilometer lang. Obwohl jedes Fahrzeug über 20 Tonnen aufweist, muß

die Kolonne das Tempo der handelnden Truppen halten. Sie folgt ihnen durch Morast und Schlamm, Sand und Geröll und

 muß doch oft schneller sein als sie. Denn die geplanten Bewegungen der Truppenteile gehen häufig weit über 100 Kilometer hinaus. In Mitteleuropa aber ist auf jeweils 55 bis 65 Kilometern mit einem mittleren, wenn nicht gar größeren Wasserhindernis zu rechnen. Für die Pontonkompanie heißt dies: Brücke verlegen; Räderfahrzeuge und Panzertechnik passieren lassen; Brücke aufnehmen; der Artillerie, den Panzern und den verschiedenen Diensten nacheilen, sie überholen; rechtzeitig wieder

 verfügbar sein am nächsten Wasserhindernis,

Nun kann man aber im Gelände mit den schwer beladenen Fahrzeugen etwa 15 bis 20,im günstigsten Fäll 30 km/h fahren. Überholen der Panzer und anderer Gefechtsfahrzeuge ist bei dieser Geschwindigkeit unmöglich. Nur in den Marschweg einbezogene Straßen bieten dafür eine Chance. Und diese nutzen dann die Pontoniere, auch hart an der Grenze der höchstzulässigen Geschwindigkeit... Schließlich die glitschigen Ufer: Aus der Kolonne heraus einschwenken; Abstand halten; zügig bis zu den Achsen ins Wasser hinein rückwärtsfahren; so bremsen, daß dem Ponton die Schwerkraft der

Bewegung beim Bremsen erhalten bleibt und er von dem Pontonwagen abrutscht; genau in dem Augenblick das Fahrzeug in absoluter Ruhe halten; aber schon die Bremse lösen, wenn der Ponton noch auf der Pritsche rollt; haargenau im rechten

Moment den Gang einlegen, vorwärtsfahren...

 

 

Abwerfen eines Flußpontons. Er besteht aus vier Pontonteilen, die zusammengefaltet

auf dem Kfz liegen...

 

 

Alles kein Problem, mag mancher sagen, hat doch der KrAZ Gelände- und Straßengänge, wahlweise Hinterrad- und Frontantrieb und schließlich noch Getriebesperren, damit sich die Kraft auf alle drei Achsen gleichmäßig verteilen kann. Stimmt, die technischen Möglichkeiten des sowjetischen Fahrzeuges sind hervorragend.

Doch die Maschine allein kämpft nicht. Es ist der Soldat hinter dem Lenkrad, sein technisches Wissen, seine Fähigkeil, selbständig zu handeln, und seine militärische Disziplin, die die Potenzen der Maschine freisetzen,

so daß sie zur Waffe wird.

So gesehen, baute die Kompanie nicht erst am Ufer an der Brücke: Für die Soldaten und Gefreiten, die hier mit den Pontons und Booten zum Ufer preschen, begann es im Frühjahr oder Herbst des vergangenen Jahres; für die Offiziere und Unteroffiziere beginnt es in jedem Frühjahr oder Herbst. Dann nämlich, wenn Oberleutnant Augsten und seine Zugführer

in die Ausbildungskompanie des Truppenteils gehen und die jungen Soldaten beobachten. Wer von ihnen könnte Pontonfahrer werden? Obwohl sie dort keinen der Genossen Auto fahren sehen, treffen sie eine Auswahl.

Welche menschlichen Qualitäten hat er?

Wie hält er seine eigenen Sachen?

Ist er diszipliniert?

Was gibt er darauf, wenn ihm ein Erfahrener etwas sagt? ,

Ergeben die Antworten auf solche Fragen Zweifel, dann können auch körperliche Konstitution oder technisches Wissen sie nicht ausräumen. Pontonfahrer wird nur der, dem unumschränktes Vertrauen möglich ist!

Auch wenn die Fahrerlaubnis Klasse 5 (sie ist Voraussetzung für den Einsatz als

Militärkraftfahrer), abgeschlossene GST-Ausbildung oder etwaige Sonderzulassungen (Matrosen und Spezialisten der Binnenreederei sind besonders geeignet für eine Funktion in den Pontonkompanien) vorhanden sind, muß doch ein jeder die Fahrausbildung entsprechend dem Programm zur Ausbildung von Militärkraftfahrern absolvieren.

Ihr folgt dann die  Spezialausbildung.

Nun ist es so, daß in den Pontonkompanien fast jeder zweite ein Kfz fährt. Jedes Halbjahr jedoch wechselt ein Drittel des Bestandes - neu gegen alt. Der Kampfwert der Kompanien aber wird weitgehend vom Können der Kraftfahrer bestimmt.

 Wenn nicht aile Pontons die Übersetzstelle erreichen, ist der Brückenbau in Frage gestellt.

 

 

Nach dem Lösen der Sperrklinke und beim Bremsen des Kfz gerät der Ponton ins

Rutschen. Beim Aufgleiten auf das Wasser klappen durch den Auftrieb die Teile

auseinander und werden mit wenigen Handgriffen zu einem starren Ponton verbunden

 

Allein schon aus diesem und aus vielen anderen Gründen ist die Sorge um den  Nachwuchs an Pontonfahrern berechtigt.  Wenn Oberleutnant Augsten und sein technischer Offizier, Leutnant Bollmann, den neuen Fahrschulkursus personell zusammengestellt haben, sind noch längst nicht alle Probleme gelöst. Die strukturmäßig im Truppenteil vorhandenen Fahrlehrer würden  Monate benötigen, um alle Neuen im erforderlichen Maße zu qualifizieren. Einen Teil  der Genossen. zur Ausbildung in einen anderen Truppenteil schicken? Schon die Kommandierung würde wertvolle Ausbildungszeit kosten, auch im Bestand wäre die  Kompanie für eine gewisse Zeit geschwächt. Könnte sich Oberleutnant Augsten nicht auf die Kommunisten der Parteigruppe und  die Mitglieder der FDJ-Organisation der Kompanie stützen, so manche Brücke wäre  nicht gebaut worden.

Die Pontoniere koppeln die einzelnen Pontons zu Brückenteilen zusammen.

Im sozialistischen Wettbewerb steht die Ausbildung der Kraftfahrer der Kompanie  Augsten stets im Mittelpunkt,

denn die Kompanie bildet sie selbst aus. Zugführer und  Gruppenführer, jeder einzelne Genösse hinter dem Lenkrad

sorgen dafür, daß die Stafette der Erfahrungen weitergereicht wird, daß keine mühevoll gewonnene Erkenntnis

verlorengeht.

Das sagt sich so einfach. Aber wo steht geschrieben, daß der Militärkraftfahrer, selbst noch in der Ausbildung, bereits andere ausbilden soll? Kann er denn das? Woher holt er sich die Kenntnisse?

  Das sei zuerst gesagt: In der Kompanie Augsten gibt es dafür keine Minute Zeit zusätzlich und auch keinen Groschen Wehrsold mehr. Nur mehr Arbeit, und das in der  Freizeit. Stolz erklärt Gefreiter Dunkel im Gespräch, daß er Hilfsfahrlehrer ist. Schon kurz nach  dem ersten Diensthalbjahr hatte er, als Soldat noch, die Qualifikation der

Stufe III  erworben. Zur Zeit hat er vier Genossen in der praktischen Fahrausbildung. Erst Kolonne fahren, dann Stadtfahrten, später die Fahrübungen der Spezialausbildung - und mit jedem Kilometer gewinnen die Fahrschüler mehr Vertrauen zum Fahrzeug, werden sie sicherer in ihren Entscheidungen hinter dem Lenkrad, begreifen sie besser  das Zusammenspiel der Technik.

 

 

Strömung und unebene Ufer erschweren die Arbeit

 

Dies bei einem Fahrlehrer, der selbst vor Jahresfrist  noch ähnlich zaghaft nach den Schalthebeln gegriffen hatte und

von der Scheu des ^Uneingeweihten vor den Dimensionen des großen Fahrzeuges erfaßt war. .„Keine Angst! Und Ruhe bewahren", sage ich den Neuen, „lernt das Fahrzeug richtig  kennen und das, was man damit machen kann!" Sicher wird Gefreiter Dunkel diesen |wohlgemeinten Rat während seiner Fahrausbildung auch gehört haben. Aber das ist in der

Kompanie Augsten keine leere Floskel.

Schon während der Spezialausbildung »werden die Kraftfahrer in technischen Zirkeln so geschult, daß sie, wenn es die erreichten Fahrkilometer der einzelnen Genossen zulassen, die Prüfungen für die Qualifikation der Stufe III

ablegen können. So besitzen immer alle in Frage kommenden Genossen diese Qualifikation. Das ist das ganze Geheimnis,

 warum auch schon Soldaten selbst wieder Soldaten ausbilden können. Auch wenn es eigentlich um technische

Probleme geht, diese Zirkel gehören zur massenpolitischen Arbeit der FDJ-Organisation in der Freizeit.

Wer nun etwa denkt, der Dienst in der Kompanie Augsten nehme kein Ende, der irrt.

Die Singegruppe der Pontonkompanie ist bekannt und beliebt im ganzen Truppenteil.

Die Jugendfreunde der Lehrwerkstatt vom Stahl- und Apparatebau Genthin haben zusammen mit den Genossen der

Kompanie ein großes Bewerberkollektiv aufgebaut. Die Pontoniere helfen den Freunden bei der Vorbereitung auf

den Wehrdienst. Und da alle Genossen der Kompanie das Sportabzeichen besitzen, kommt sicher der Freizeitsport

auch nicht zu kurz.

Noch während einzelne Pontons zusammengekoppelt werden, wird mit dem Einfahren der ersten Brückenteile begonnen.

 Die Brücke ist freigegeben. Eine Abteilung Haubitzen fährt hinüber. Da der zur Verfügung stehende Pontonpark nicht ausreicht, wird die vorhandene Buhne als Furt zur Brücke genutzt (Bild rechts} Das aber nur nebenbei. Werfen wir eine andere Frage auf. Was nutzen die bestausgebildetsten Kraftfahrer, wenn ihnen nicht einwandfrei gewartete Fahrzeuge zur Verfügung stehen? Jeder Tag Gefechtsausbildung strapaziert die Fahrzeuge. Die Fahrer können sie nicht schonen, wollen sie ihre militärischen Aufgaben unter allen Bedingungen erfüllen. Defekte lassen  sich auch nicht einplanen, nicht gleichmäßig auf den Monat, das Jahr verteilen. So manche Brücke wäre von der Kompanie nicht geschlagen worden, wenn nicht Gefreiter Kirsch und mit ihm andere technisch versierte Kraftfahrer allein im letzten Halbjahr 191 Instandsetzungen und 22 Wartungen fachgerecht ohne Werkstatthilfe ausgeführt hätten. Dazu haben die Stunden der regulären Parktage keinesfalls gereicht; die Zeit von einigen Wochenenden hat diesen Mangel wieder wettgemacht.

 

 

Die letzten Fahrzeuge einer Artillerieabteilung rollen über die Brücke. Noch einmal  schwappt Wasser über den Uferponton, die letzte Haubitze erreicht das jenseitige Ufer.

 Sehr rationell gehen die Genossen dabei zu Werke. Eine Gruppe von ihnen inspiziert die Fahrzeuge und stellt Mängelscheine aus. Dann suchen sich die anderen Gruppen jene Arbeiten aus, die ihnen am meisten Spaß machen. So haben sie Freude an der Arbeit, gewinnen aber auch als Fahrer ein anderes Verhältnis zum Fahrzeug, wie es  Gefreiter Kirsch sagt: „Um wieviel ruhiger greift man in einer verzwickten Kurve ins  Lenkrad, immerhin drücken imposante zwanzig Tonnen, wenn man selbst vorher mal an der Lenkhilfe gearbeitet hat!"  In der Kompanie Augsten gab es im letzten Jahr keine Havarie und keinen selbstverschuldeten Unfall... 

Der Befehl zur Aufnahme der Brücke folgt den Artilleristen buchstäblich auf dem Fuße. Nun passieren die Ural und KrAZ der Kompanie Augsten ihre eigene Brücke. Am jenseitigen Ufer schwenken die Fahrzeuge aus der Kolonne zum Ufer ein. Die Brücke wird demontiert. Ein Handgriff ergänzt den anderen...

Was wäre, wenn sich die Genossen nicht aufeinander verlassen könnten?

Doch sie können es. Auf dramatische Art hat sich das in einer Winternacht des Jahres 1974 in der Kompanie Augsten bestätigt. Die Ufer des Flusses waren vereist. Beim Aufnehmen der Pontons fanden die Fahrzeuge wenig Halt. Schließlich war nur noch der Uferponton im Wasser. Noch immer fiel das Thermometer. Die Vereisung nahm zu.

Gefreiter Kahlke zog das Teil vorsichtig auf seinen KrÄZ. Außer ihm, seinen Pontonieren und dem Bugsierbootfahrer Jellinek war die Kompanie schon angetreten. Gefreiter Jellinek war gerade auf dem  Weg zu ihr.

Da hörte er es klatschen: Hatte Kahlke das Uferteil doch fallen lassen müssen? Jellinek drehte sich um. Kahlkes KrAZ war verschwunden. Jellinek hörte einen Schrei.

Alles rannte zum Ufer. War Kahlke im versunkenen Fahrzeug?

Jellinek sprang in die eiskalten Fluten. Er erreichte Kahike, der bis zuletzt das   rutschende Fahrzeug gebremst hatte und so ein tieferes Absinken verhindern konnte, und holte ihn an Land.

Danach meinte Gefreiter Jellinek, keiner in der Kompanie hätte anders gehandelt als er.

                                                       Oberstleutnant Ernst Gebauer